Die Frage nach der Gleichstellung von Frauen und Männern ist im Alltag von Kirche und Gesellschaft gegenwärtig. Frauen haben sich gegen Benachteiligungen gewehrt. Frauenförderung hat einen hohen gesellschaftspolitischen Stellenwert. Gelegentlich entstand dabei ein Männerbild, das von Zuschreibungen getragen ist, die Männer so nicht teilen können. Wo es um die Gestaltung einer gerechten Gemeinschaft von Männern und Frauen in der Kirche und die Integration der Gleichstellungsperspektive in den Alltag geht (Gender Mainstreaming), ist es unabdingbar, dass Männer ihre eigene Perspektive im offenen Dialog zur Sprache bringen. Dazu gehören auch eine Verständigung unter Männern über gemeinsame Sichtweisen und der fachliche Bezug auf den aktuellen Stand der kirchlichen und gesellschaftspolitischen Debatte.
Leitend ist dabei die Feststellung: Die Geschlechterdifferenz gehört zur Gottesebenbildlichkeit des Menschen. „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau." (Genesis 1,27) Im Gegenüber, im Ich und Du, in der spannungsreichen Vielfalt von Frauen und Männern ist das Bild Gottes zu erkennen. Die Antwort der Menschen auf Gottes Anrede erfolgt in dieser Differenz und Vielfalt. Weibliche und männliche Spiritualität suchen nach den Quellen weiblicher und männlicher Energie in der Gottesbeziehung. Gleichzeitig lebt die christliche Gemeinde in der Hoffnung, dass Ungleichheit und soziale Ausgrenzung überwunden werden. Paulus nennt die Geschlechterdifferenz neben sozialer Ungleichheit und dem Problemen privilegierter Herkunft oder Kultur: "Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid alle eins in Christus Jesus." (Galater 3,27f) Vor diesem Hintergrund geht es in der Männerarbeit darum, Männer dazu zu ermutigen, ihre sozialen Rollen als Mann anzunehmen und bewusst zu gestalten. Männer setzen sich dabei mit der sozialen Realität und mit der theologischen und gesellschaftspolitischen Kritik an „Männlichkeit“ auseinander. Mit der Gestaltung lebendigen Glaubenslebens und durch eine „Theologie aus männlicher Perspektive“ orientiert sie sich an biblischen Botschaft und bezieht von dort ihre Kraft. Dabei ist die Perspektive der Überwindung von Geschlechterdifferenz und sozialer Ungleichheit im Blick. Männerarbeit sucht Erfahrungen einer neuen Gemeinschaft und wirkt an der Gestaltung von mehr Gerechtigkeit zwischen Männern und Frauen mit.
Veranstaltungen zu Fragen veränderter Männerrollen, Angebote zur „männlichen Spiritualität“ (z.B. Männerbibliodrama), gemeinsame Veranstaltungen mit dem landeskirchlichen Frauenreferat, kontinuierliche Arbeit mit männlichen Gewalttätern im Strafvollzug gehören zum Schwerpunkt Genderpolitik und Männerfragen. In diesem Rahmen werden auch die männerpolitischen Initiativen der Männerarbeit EKD (z.B. eine neue Männerstudie) aufgenommen. Der Entwicklungsschwerpunkt liegt auf Bildungsangeboten für Männer zwischen 25 und 65, die sich mit ihrer veränderten Männerrolle auseinandersetzen und sich mit der Frage beschäftigen, was ihr Leben trägt. In diesen Rahmen gehört auch die Intensivierung der Kooperationen am Standort Villigst und mit weiteren landeskirchlichen Einrichtungen.
Das lange Erntedankwochenende nutzten acht Frauen und sechs Männer für eine Reise in den rheinhessischen Weinort Lorch. Das Frauenreferat und die Männerarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen hatten eingeladen, sich in diesen Tagen als „Mensch mit Leib und Seele“ zu erfahren. Die besondere Atmosphäre zwischen Fluss und Weinbergen inspirierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu intensiven Gesprächen und lebhaftem Austausch.
„Das Seminar im Weinberg hat mir ermöglicht, noch einmal neu über meine Rolle als Frau nachzudenken. Ich hatte gedacht, ich wäre schon ‚fertig‘ damit, aber ich habe viel Neues erfahren – nicht zuletzt im Austausch mit den Männern“. So fasste eine Teilnehmerin des Genderseminars ihre Eindrücke der Tage zusammen.
Rollenvielfalt erleben, Geschlechterklischees überwinden, sich einüben in Toleranz für bunte, vielfältige Lebensformen – das ist die Idee hinter den gemeinsamen Seminaren von Frauenreferat und Männerarbeit. Umso verwunderter hörte man auf der Tagung von den Äußerungen von Papst Franziskus, der zum gleichen Zeitpunkt erklärt hatte, die Gendertheorie führe „einen Weltkrieg, um die Ehe zu zerstören“. Nicole Richter, Leiterin des Frauenreferats, fand dafür deutliche Worte: „Ich bin froh, dass wir in der evangelischen Kirche für andere Werte stehen. Die verschiedenen Rollen- und Familienbilder gilt es zu fördern und zu unterstützen, denn durch sie zeigt sich Gottes bunte Vielfalt!“
Einen ganzen Tag nahmen sich die Frauen und Männer Zeit, auf einer Etappe des Rheinsteigs Texten und Impulsen von Meister Eckhart, Hildegard von Bingen oder Christina Brudereck zu folgen und dabei miteinander ins Gespräch zu kommen. Und bei den Andachten und Gottesdiensten übten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in geschlechtergerechter Sprache – sowohl im Dialog miteinander als auch in Liedern und Gebeten. „Es ist eine Verkümmerung des Gottesbildes, wenn wir von Gott immer nur in männlichen Bildern sprechen. Gerade in einem Jahr, in dem die Jahreslosung von mütterlichen Gotteserfahrungen erzählt, sollten wir unsere Rede von Gott erweitern und nicht ausschließlich als Herr, Vater und König von ihm sprechen“, sagt Landesmännerpfarrer Martin Treichel. Die gemeinsame Feier eines Erntedankgottesdienstes bot Gelegenheit, zu den Stichworten „Danken und Loben, Ernten und Säen“ existenzielle Erfahrungen in der Gruppe zu teilen und vor Gott zur Sprache zu bringen.
Das nächste gemeinsame Seminar von Frauenreferat und Männerarbeit findet vom 06.-08. Januar 2017 im Stift Börstel statt.